Bild der Erschöpfung

Das Foto der schlafenden Krankenschwester Elena Pagliarini, aufgenommen vergangene Woche am Ende einer ihrer Schichten um 6 Uhr in der Notaufnahme des Krankenhaus von Cremona, einem besonders schwer von der Epidemie betroffenen Ort in der Lombardei. Aufgenommen und über Facebook verbreitet hat das Foto die Ärztin Francesca Mangiatordi („Ich möchte, dass dieses Foto eine Einladung wird, zu helfen: Bleibt zu Hause, respektiert die Regeln, denn das ist die einzige Möglichkeit, dass wir zusammenbleiben“). Ein weiteres triftiges Bild der Krise, ein weiterer Eintrag in die Corona-Ikonografie, das seine Überzeugungskraft auch unmittelbarer Verständlichkeit verdankt. Die Rückenansicht Pagliarinis enthält viele Informationen über den Zustand in den italienischen Krankenhäusern derzeit, aber es könnte auch zu jedem anderen Zeitpunkt, zu jeder anderen vergleichbaren gesundheitlichen Notstandssituation in der erweiterten Gegenwart gemacht worden sein, es spricht eine universelle Sprache und wäre der perfekte Gegenstand für eine „mythologische“ Lektüre à la Roland Barthes. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass dieses General-Bild umgeben und überschrieben wird durch Hunderte weiterer Krankenhausbilder, die derzeit aus den „Hotspots“ der Coronakrise in die Online-Foren dringen, durch Zeitungsartikel, Facebook-Botschaften und Podcasts von vielen Krankenschwestern, Ärzt*innen, Pfleger*innen, die ihre Erfahrung in ihrer Erschöpfung und Verzweiflung immer wieder in Begriffe wie „Krieg“ und „Tsunami“ fassen, die dann für die „Bild“-Zeitung und andere Grellmedien zur Steilvorlage ihrer sensationalistischen Routine werden. Trotzdem oder gerade deswegen sei dazu geraten, einen Podcast wie den mit dem Lungenspezialisten Fabiano di Marco von der Universität in Mailand, der heute, am 16. März, bei New York Times Daily erschienen ist, anzuhören.  TH

 

17.03.2020 — Rosa Mercedes / 02